Das Kunstprojekt „Stranded“ des schweizer Künstlers Christoph Draeger verschaffte Festival-Mitarbeiterin Susanne Posegga Einblicke aus erster Hand in die humanitäre Krise, die sich derzeit an den Grenzen Europas vollzieht. Tausende Flüchtlinge sind im letzten Jahr auf den Kanarischen Inseln, einem der wichtigsten Zielpunkte, gelandet, viele auf dem gefährlichen Seeweg ums Leben gekommen. Die brisanten Geschehnisse vor Ort erregen seit dem Vorjahr vermehrt Aufmerksamkeit auch über die Grenzen Spaniens hinaus bis zur EU-Kommission. Ziel der Reise im Auftrag des Festivals der Regionen war, eines der dort regelmäßig ankommenden Flüchtlingsboote vor seiner Zerstörung durch die Behörden für das Kunstprojekt zu sichern und nach Österreich zu transportieren. Im Interview berichtet Susanne Posegga über ihre Wahrnehmung der Situation vor Ort.
Die wochenlange Recherche vor der Reise hat zu dem Ergebnis geführt, dass ein starker Fokus der Flüchtlingsbewegungen derzeit auf Teneriffa liegt. Die Flüchtlinge nehmen dabei teilweise unglaublich lange Wege auf sich.
"Die anfänglichen Einwanderungswellen haben sich auf Lanzarote und Fuerteventura beschränkt. Denn die beiden Inseln liegen am nächsten an der afrikanischen Küste, sind aber dann durch ein intensives elektronisches Überwachungssystem auf marokkanischer und spanischer Seite ausgestattet worden, also ist dort die Welle etwas gestoppt worden, was aber nicht heißt, dass dort keine mehr landen. Die meisten Flüchtlinge kommen aus südlicheren afrikanischen Staaten bis runter zum Senegal und legen teilweise Strecken von über 900 km auf dem Meer zurück und treiben dann aufgrund der Strömungen im Meer zumeist nach Teneriffa, Gran Canaria oder El Hierro. |
Im letzten Jahr sind ca. 33000 Flüchtlinge auf den Kanaren angekommen. Auf Teneriffa registrierte man im vergangenen Sommer im Schnitt 3-4 Boote täglich. Zum Schluss lagen angeblich um die 100 Boote am Strand von Los Christianos und die Gemeindeverwaltung wusste nicht mehr, wo hin damit. Es ist ja auch ein Touristenort, die wollen natürlich ein schönes Bild nach außen abgeben, so dass man sich dann entschieden hat, diese Boote zu zerstören. Es sind letztes Jahr insgesamt anscheinend über 1000 Boote vernichtet worden".
Das Festival der Regionen konnte sich durch eine Einverständniserklärung des zuständigen Richters auf Teneriffa das Verfügungsrecht über die eigentlich zur Zerstörung bestimmten Boote erwirken.
"Ich musste zuerst mal herausfinden, wem diese konfiszierten Boote eigentlich gehören. Ich rief zuerst beim Roten Kreuz, Amnesty International der spanischen Regierung, dann bei der lokalen Hafenbehörde an. Die sagten mir, es wäre grundsätzlich schon möglich. Ich habe mich dann ans Gericht gewendet, hab mir einen Termin ausgemacht, nachdem mir am Telefon signalisiert wurde, dass theoretisch so ein Bescheid für uns möglich ist. Ich habe dann an meinem ersten Arbeitstag dort tatsächlich vom Dekanrichter unheimlich schnell ein „Acuerdo“, diese Einverständniserklärung bekommen, dass wir für den genannten Zweck für das Festival der Regionen, ein solches Boot haben dürfen. Der Richter hat darin auch die zuständigen Behörden gebeten, uns dabei zu unterstützen. Ich möchte auch noch einmal betonen, dass es auch dort Leute gab, die schnell bereit waren uns zu helfen. Ich habe aufgrund dieser guten Zusammenarbeit jetzt die Möglichkeit, über die Boote, die in der Zukunft ankommen, zu verfügen. Die werden jetzt vor der Zerstörung bewahrt und aufgehoben. Wir müssen von Festivalseite „nur“ noch schauen, wie wir den Transport bewerkstelligen, denn die Boote sind größer und schwerer als man vorher aufgrund der Medienberichte erwarten konnte".
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Das weitere Schicksal der ankommenden Afrikaner ist ungewiss.
"Mein Fokus war jetzt im wesentlichen auf die Recherche des Bootes beschränkt. Ich hab mich natürlich auch für die ganze Geschichte danach interessiert, aber ich konnte da noch nicht so weit vordringen wie es mich interessieren würde. In intensiven Kontakt stand ich mit der Meeresrettung und der Hafenbehörde von Los Christianos, die mich auch alle sehr gut unterstützten. Die riefen mich auch an und meinten, dass von einigen Fischern ein Flüchtlingsboot gesichtet worden war. Ich bin sofort dorthin gefahren um das mit eigenen Augen zu sehen, wie mit den Leuten verfahren wird und was dort passiert. Was ich sehen konnte, war, dass die Flüchtlinge schon am Strand waren, frische Kleidung, Getränke und zu Essen vom Roten Kreuz bekommen hatten. Es ging alles sehr ruhig vonstatten, Polizei und Feuerwehr waren vor Ort, aber alles in einem kleinen Aufgebot. Die Leute sind dann von einem Reisebus abgeholt und in ein Auffanglager gebracht worden. Laut meiner Auskunft bleiben sie dort normalerweise 40 Tage. Wenn in dieser Zeit ihr Herkunftsland und ihre Identität festgestellt wird, werden sie in der Regel zurückgeflogen. Und bei denjenigen, wo das nicht der Fall ist, werden sie auf das spanische Festland gebracht. Das ist der Stand, den ich an Informationen habe. Ob das alles 100% gesichert ist, kann ich jetzt nicht sagen".
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